DIE ‘ISKRA‘ UND DIE ‘PRAWDA‘

Im Januar 1901 ging in München eine Zeitung in den Druck, die den Lauf der Geschichte verändern sollte. „Aus dem Funken wird die Flamme schlagen“, prophezeite der Untertitel des Blattes. Und tatsächlich: Die „Iskra“ (russisch für „der Funke“) legte den Grundstein für die Bolschewistische Partei, die 16 Jahre später die Revolution in Russland zum Sieg führte |  Photo: Archiv

Zwei große, berühmte Zeitungen sind es im Grunde, die in Russland vor der Oktoberrevolution massenwirksam ihre Vorbereitung betrieben haben: Die ‘Ìskra‘ und die ‘Prawda‘. Die erste von 1900 und die zweite von 1912, ohne sie kein 1917.

 

a) Nach der Rückkehr Lenins aus der sibirischen Verbannung im Dezember 1900, also noch vor der Revolution von 1905, erschien die Zeitung ‘Iskra‘ im Ausland. Mit dieser Zeitung führten die Leninisten einen Kampf gegen die kleinbürgerlichen Ökonomisten, die den Umfang des Klassenkampfes der Arbeiterklasse beschränken wollten. Sie vertraten die Ansicht, den politischen Kampf gegen das zaristische Regime, das als Bollwerk der europäischen und asiatischen Reaktion galt, der liberalen Bourgeoisie zu überlassen. Gleichzeitig fungierte die ‘Iskra‘ als eine große gesamtrussische illegale politische marxistische Kampfzeitung, die das Ziel verfolgte, die weit verbreitete Zersplitterung der revolutionären Zirkel zu überwinden. Durch diesen Zusammenschluss sollte eine kompakt-zentralistische Partei entstehen, die auf eiserner Disziplin beruhte und aus Berufsrevolutionären bestand. Um eine feste zentralisierte politische Partei aufzubauen, mussten den Ökonomisten eine endgültige Niederlage zugefügt werden. Es kam um 1900, dem Jahr des globalen Ausbruchs des Imperialismus, in Russland des Absolutismus zunächst darauf an, den Marxismus im Zuge eines bolschewistischen Zweifrontenkampfes gegen den Zarismus und gegen die Bourgeoisie mit der Arbeiterbewegung zu vereinigen. In der Verbannung hatte Lenin alles detailliert durchdacht. * Man kann diese gesamtrussische Zeitung als ein Kampfblatt nach außen gegen die Ökonomisten und als eine Vereinigungszeitung nach innen bezeichnen. Die russische Arbeiterbewegung befand sich noch in einem embryonalen Zustand, auf dem ersten Parteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands bewegten sich neun Figuren. Um die Partei als höchste Organisation der Klasse, als Vortrupp und organisierter Trupp der Arbeiterklasse zu stärken dient eine Kampfzeitung, eine Arte Gerippe, eine Art Netz von Vertrauensleuten und Korrespondenten. Diese Zeitung ist nach Lenin nicht nur ein kollektiver Propagandist, ein kollektiver Agitator, sondern auch ein kollektiver Organisator. Die Partei müsse aus zweit Teilen bestehen: Aus einem Kern von nur Parteiarbeit leistenden, Kontinuität wahrenden, im Kampf gegen die politische Polizei geschulten Berufsrevolutionären und einem Netz von Randorganisationen von Parteimitgliedern.

 

b) Die in St. Petersburg herausgegebene ‘Prawda’ (Die Wahrheit), Tageauflage 1912: 40 000, war von ganz anderem Format. Sie war eine Zeitung, die von Hand zu Hand ging, eine Zeitung der breiten Massen. Ihre erste Nummer erschien am 5. Mai 1912, am 94. Geburtstag von Karl Marx. Der 5. Mai wurde zum Festtag der Arbeiterpresse ernannt.

Diese Zeitung wurde permanent verfolgt, zensiert und mit Geldstrafen belegt und konnte sich nur durch Spenden halten. In 2 ½ Jahren wurde sie achtmal verboten
(Vergleiche Geschichte der KPdSU (B), Kurzer Lehrgang, Verlag Roter Morgen, Dortmund, 1976,188),

 

ein Zeichen, dass sie das Klassenbewusstsein hob. Eine ihrer Stärken war der Abdruck von Arbeiterkorrespondenzen über die schlimmen inhumanen Arbeitsverhältnisse und Streiks, Korrespondenzen, die eine Arbeiterzeitung braucht wie wir die alltägliche Luft zum Atmen. Über 11 000 Zuschriften publizierte sie in einem Jahr. Nicht selten wurde von Selbstmorden Hungernder in Langzeit berichtet, die nur so lange Brot besaßen, als ihre Arbeit das Kapital vermehrte. Die ‘Prawda‘ organisierte die Sammlung von Geldern für Streikfonds.

„Dies erzog die Arbeiter im Geiste proletarischer Solidarität und des Bewusstseins der Einheit der Interessen aller Arbeiter“.
(a.a.O.,189).

 

Sie musste wegen der Zensur verschlüsseln: Sie sprach von den vollen Forderungen von 1905, jeder Arbeiter wusste, was damit gemeint war: 8 Stunden Tag, Sturz des Zaren, Konfiskation des Bodens der Gutsbesitzer.

 

Die Zeitung stellte die Verbindung her zwischen illegalen und legalen Aktionen. Die Darstellung der Misere in den Dörfern war genauso wichtig wie die Fabrikberichterstattung. Vieles lag brach, denn die Aufgaben der Revolution von 1905 waren noch nicht gelöst.
(a.a.O.,191).

 

In dem Artikel ‘Der Großgrundbesitz und der kleine bäuerliche Grundbesitz in Russland‘ stellt Lenin die krassen Unterschiede unter den Landbesitzern heraus. 30 000 Großgrundbesitzer verfügten über 70 Millionen Desjatinen Land, die Hälfte der ganzen Bauernschaft verfügte über nicht mehr als ein, zwei Desjatinen Land pro Hof. Man nannte die Bolschewisten die Prawdaisten bzw. Prawdaleute, das waren diejenigen, die die Oktoberrevolution durchführten. So führt dann Stalin auch aus:


»Die Prawda« von 1912 – das war die Grundsteinlegung für den Sieg des Bolschewismus im Jahr 1917“.
(a.a.O.,194).


* Iskra heißt auf Deutsch übersetzt ‘Der Funke‘ und die Leninisten spielten damit auf den Dekabristen-Aufstand einer kleinen Gruppe von Adeligen unter dem Oberst Pestel 1825 gegen den Absolutismus an, die dem Dichter Puschkin den Satz zuriefen:

‘Aus dem Funken wird die Flamme schlagen‘
– eine Hoffnung vieler Revolutionäre.

Ein Funke könne eine Steppe in Brand stecken, hieß es ein altes chinesisches Sprichwort aufgreifend maoistisch in den 60er Jahren. Das trieb die RAF voran. Im Grunde zündet wie auch hier bei kleinbürgerlichen Ansätzen nichts.

 

 

 

Über Heinz Ahlreip 115 Artikel
Heinz Ahlreip, geb. am 28. Februar 1952 in Hildesheim. Von 1975 bis 1983 Studium in den Fächern Philosophie und Politik an der Leibniz Universität Hannover, Magisterabschluss mit der Arbeit »Die Dialektik der absoluten Freiheit in Hegels Phänomenologie des Geistes«. Forschungschwerpunkte: Französische Aufklärung, Jakobinismus, Französische Revolution, die politische Philosophie Kants und Hegels, Befreiungskriege gegen Napoleon, Marxismus-Leninismus, Oktoberrevolution, die Kontroverse Stalin – Trotzki über den Aufbau des Sozialismus in der UdSSR, die Epoche Stalins, insbesondere Stachanowbewegung und Moskauer Prozesse.