Hauptkriterium einer erfolgreichen proletarischen Revolution

Die von Lenin geleiteten breiten Volksmassen übernahmen mit dem Sieg der Oktoberrevolution die Macht in Russland | Archivphoto

Die Gewinnung der Mehrheit

Zum 106. Jahrestag der
Oktoberrevolution

 

Von Heinz Ahlreip – 26. Juni 2023 | Ein weit verbreiteter Irrtum in linken und progressiven Kreisen besteht in der Meinung, man könne Revolutionen einfach so ‚mir nichts dir nichts‘ machen. Dem widerspricht Lenin, Revolutionen müssen reifen. Er sagt, Revolutionäre müssen sich hüten, Revolution mit großen Buchstaben zu schreiben. Wir können nur für die Revolution arbeiten. Was hier zunächst als eine Abschwächung erscheint (nur arbeiten), darin liegt im Grunde die Stärke: Revolutionen machen kann das Hauptgewicht auf eine Avantgarde legen, die mit einer Minderheit des Volkes eine Revolution machen will, voluntaristisch, ohne Beachtung der großen mehrheitlichen Massenbewegungen. Das wäre eine von vornherein gescheiterter Revolution im Stil der Blanquisten. Auguste Blanqui war ein Sozialrevolutionär des 19. Jahrhunderts, der das Konzept einer elitären Revolution ausschließlich durch Kader vertrat. 

Der Marxismus-Leninismus lehrt uns dagegen, dass nur eine Revolution der breiten Volksmassen, in der die Mehrheit mit destruktiver Ausrichtung gegen den alten, verknöcherten bürgerlichen Staatsapparat in Bewegung geraten ist, Aussicht auf Erfolg hat. Und das schwingt eben in der Formulierung: ‘Für die Revolution arbeiten‘ mit, zusammenarbeiten der Avantgarde mit den arbeitenden Massen, mit denen sich die Revolutionäre bis zu einem gewissen Grad mit den Massen vereinigen müssen. ‘Bis zu einem gewissen Grad‘, also kein Populismus, allgemeiner Verbrüderungsdusel, denn die kommunistischen Revolutionäre haben

…vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus
(Vergleiche Karl Marx, Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, Werke, Band 4, Dietz Verlag Berlin, 1960,474).

Die MLPD verstößt hier gegen den guten “Geist“ des Manifestes, denn sie vertritt einen allgemeinen Verbrüderungsdusel mit den Massen.  

Die Mehrheit entscheidet alles. Das lehren uns die zweite und dritte Revolution, die dritte noch mehr als die zweite, in Russland am Ende des ersten Weltkrieges, die beide 1917 stattfanden. Die erste fand 1905 statt, sie war wichtig, vor allem wegen der Herausbildung von Sowjets (Räten), gilt sie bis heute als Generalprobe der Oktoberrevolution. Sie scheiterte mit ihren Hauptvorhaben, den Zaren zu stürzen und den 8-Stundentag einzuführen, aber die bolschewistische Revolution hat den Erfolg einer Revolution bewiesen, auch wenn die Generalprobe scheiterte. Vorwärts – ein Scheitern darf Bolschewiki nicht aufhalten! 

Die Februarrevolution brachte zunächst ein verkehrtes Schauspiel auf die Bühne. Sie führte zu einer Minderheitsregierung, die Bourgeoisie kam parlamentarisch, also über die Duma an die Macht und diese Duma stand machtmäßig über den Sowjets, in denen die Mehrheit des Volkes (Arbeiter, Bauern, Soldaten, Matrosen) vertreten war. Die jungen, frischen Sowjets knieten vor der historisch abgestorbenen Duma wie das Kaninchen vor der Schlange. Klassenmäßig wurden die Sowjets von kleinbürgerlichen Parteien (Sozialrevolutionäre, Menschewiki) parlamentarisch versaut, so dass die Februarrevolution auf der Sandbank des Parlamentarismus und Reformismus gestrandet war. Lenin warnte vor der Einnahme einer mittleren Position, das sei Gift in jeder Revolution.

Der Versuch, eine mittlere Position einzunehmen, Proletariat und Bourgeoisie miteinander ‚zu versöhnen‘, zur Entscheidung gezwungen. zeugt von Stupidität und erleidet ein klägliches Fiasko
(Lenin, Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky, Werke, Band 28, Dietz Verlag Berlin, 1960,262).

In Russland hat das Jahr 1917 gezeigt, dass sich gerade durch das Paktieren der Menschewiki und der Sozialrevolutionäre mit der russischen Bourgeoisie während der Sowjetperiode vom Februar bis zum Oktober 1917, durch deren Versöhnungspolitik sich die Arbeiterklasse von diesen kleinbürgerlichen Parteien und von den kleinbürgerlichen, Sowjets, die ohne jede Verfassung entstanden waren und über ein Jahr ohne eine existierten,  abwandte und zu den Bolschewiki schwenkte, die somit die Oktoberrevolution vorbereiten konnten. Das war die innerrussische Entwicklung, die das traurige Schicksal des Kleinbürgertums offenbarte, zeigte, dass das Kleinbürgertum nicht gewillt ist, die Macht selbst, ohne die Großbourgeoisie zu übernehmen. Das Kleinbürgertum wartet gern ab und geht im Krieg als erste Partei zugrunde.  Endlich wurden nach der Oktoberrevolution am 14. Juni 1918 die kleinbürgerlichen ehemaligen Paktierer Parteien mit der mittlerweile entmachteten Bourgeoisie als Bremser der Revolution endgültig aus den Sowjets ausgeschlossen.

Die antiparlamentarisch-sozialrevolutionär ausgerichteten Bolschewiki spielten unmittelbar nach der Februarrevolution nur eine marginale (geringe) Bedeutung in den Sowjets. Eine proletarische Revolution war zu diesem Zeitpunkt ganz aussichtslos. Lenins Aprilthesen (Weitertreiben der bürgerlichen Revolution zur sozialistischen) zog das Schiff der Revolution wieder in den Ozean der Revolution, die See war aufgeraut, denn die Massen schwenkten nach links. Im Juli 1917 arbeitete Lenin gegen bolschewistische Linksputschisten, die sich in einem zu früh angesetzten Aufstand verhedderten. Erst der rechtsextreme, massenhaft abgewehrte Militärputsch unter dem Kommando des Generals Kornilow, auch Kornilowputsch genannt, trieb die Massen noch mehr nach links zu den Bolschewiki. Anfang Oktober 1917 verfügten die Leninisten über die Mehrheit sowohl in den Sowjets Moskaus als auch Petrograds, einer welthistorische Weichenstellung im Manifest war gefolgt worden:

Alle bisherigen Bewegungen waren Bewegungen von Minoritäten oder im Interesse von Minoritäten. Die proletarische Bewegung ist die selbständige Bewegung der ungeheuren Mehrzahl im Interesse der ungeheuren Mehrzahl
(Karl Marx, Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, Werke, Band 4, Dietz Verlag Berlin, 1960,472).

Die Mehrheit entscheidet alles. – ein welthistorisches Signal konnte jetzt gegeben werden. Das geschah am Abend des 25. Oktober 1917 durch einen Platzpatronenschuss aus der Bugkanone des Panzerkreuzers Aurora, das Signal zum Sturm auf das Winterpalais, dem Sitz der Regierung der bürgerlichen Canaille. Durch deren Sturz wurden die Lohnsklavinnen und Lohnsklaven in der Stadt und ein Jahr später, im Herbst 1918, auf dem Land, zu Beherrschern der Industrie und der Erde. 

 

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Über Heinz Ahlreip 97 Artikel
Heinz Ahlreip, geb. am 28. Februar 1952 in Hildesheim. Von 1975 bis 1983 Studium in den Fächern Philosophie und Politik an der Leibniz Universität Hannover, Magisterabschluss mit der Arbeit »Die Dialektik der absoluten Freiheit in Hegels Phänomenologie des Geistes«. Forschungschwerpunkte: Französische Aufklärung, Jakobinismus, Französische Revolution, die politische Philosophie Kants und Hegels, Befreiungskriege gegen Napoleon, Marxismus-Leninismus, Oktoberrevolution, die Kontroverse Stalin – Trotzki über den Aufbau des Sozialismus in der UdSSR, die Epoche Stalins, insbesondere Stachanowbewegung und Moskauer Prozesse.

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