Wann liegt für die Arbeiterklasse eine revolutionäre Situation vor?

Eine revolutionäre Situation ist erst dann vorhanden, wenn die da unten nicht mehr wollen und die da oben nicht mehr können

Die Gewinnung der Mehrheit

Zum 106. Jahrestag der
Oktoberrevolution

Teil II

Hier geht es noch einmal zum Teil Nr. I

Hauptkriterium einer erfolgreichen proletarischen Revolution

 

Wenn es das politische Bestreben der Parteiavantgarde des Proletariats, der fortschrittlichen Arbeiterinnen und Arbeiter, der revolutionären und fortschrittlichen Gewerkschaftsmitglieder, der revolutionären und fortschrittlichen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern ist, der ausgegrenzten Kleinbürgerinnen und Kleinbürger im Zuge der Herstellung einer Volkshomogenität (Kommunisten, Parteilose) die Bourgeoise durch eine Diktatur des Proletariats, nicht durch einen Volksstaat, seit dem Revisionismus von Chruschtschow  muss das betont werden, völlig zu vernichten, dann kommt der Frage, wann liegt eine revolutionäre Situation vor, ohne Zweifel eine der großen Schlüsselfunktionen der Emanzipation vor.  Wenn wir aber die Emanzipationsfrage nur so stellen, so liegt nach dem wissenschaftlichen Sozialismus eine unzulässige Verkürzung vor. Diese Frage muss ergänzt werden zu: Wann liegen eine revolutionäre Situation und eine gesamtnationale Krise vor, beides zusammen ergibt erst die richtige Ausgangsposition. Schon hieraus wird der Unsinn ersichtlich, eine proletarische Revolution könne von kommunistischen Avantgardekadern allein durchgeführt werden. 

Sollte man auf diese Frage eine mathematische Antwort geben, so ist nur wenig beantwortet. Die Antwort wäre: Wir müssen mit sieben Bällen jonglieren, mit vieren in der revolutionären Situation und mit dreien in der gesamtnationalen Krise. Das ist nun aufzuschlüsseln, dazu müssen wir qualitativ vom Formalem zum Inhaltlichen springen. 

Beginnen wir mit der revolutionären Situation. Die kürzeste Antwort zu ihrem Vorliegen lautet: Wenn eine ‘Wenn-Dann-Konstellation’ vorliegt. Wenn sich in der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung eines Landes eine Konstellation ergibt, in der die

unteren Klassen nicht mehr in der alten Weise leben wollen – die oberen nicht mehr in der alten Weise leben können.

Das ist eine Art Faustregel, unzulänglich wie jede Faustregel. Aber zunächst kommt es uns darauf an, dass sich diese rudimentäre Wenn-Dann-Formel einprägt. Das ist zwar der richtige Ansatz, aber dadurch allein liegt noch lange keine revolutionäre Situation vor. Wir sprachen von sieben Bällen. Zu bedenken ist bei dieser Thematik, dass nicht jede revolutionäre Situation auch zu einer Revolution führt. 

Man muss die Bedingungen und den Zeitpunkt richtig einschätzen, an dem die Avantgarde des Proletariats die Macht mit Erfolg ergreifen kann, damit sie während und nach der Machtergreifung auf eine ausreichende Unterstützung genügend breiter Schichten der Arbeiterklasse und der nicht werktätigen Massen rechnen kann. Nach der Machtergreifung gilt es, die Herrschaft dadurch zu behaupten, zu festigen und zu erweitern, dass immer breitere Massen der Werktätigen von der Avantgarde erzogen, geschult und mitgerissen werden.

“Folglich ist zur Revolution notwendig: erstens, daß die Mehrheit der Arbeiter (oder jedenfalls die Mehrheit der klassenbewußten, denkenden, politisch aktiven  Arbeiter) die Notwendigkeit des Umsturzes völlig begreift und bereit ist, seinetwegen in den Tod zu gehen; zweitens, dass die herrschenden Klassen eine Regierungskrise durchmachen, die sogar die rückständigsten Massen in die Politik hineinzieht (das Merkmal einer jeden wirklichen Revolution ist die schnelle Verzehnfachung, ja Verhundertfachung der Zahl der zum politischen Kampf fähigen Vertretung der werktätigen und ausgebeuteten Masse, die bis dahin apathisch war), die Regierung kraftlos macht und es den Revolutionären ermöglicht, diese Regierung schnell zu stürzen”.
(Lenin, Der ‘linke Radikalismus’, die Kinderkrankheit im Kommunismus, Werke, Band 31,71f.).

Eine revolutionäre Situation liegt dann vor, wenn, erste Dimension, die unteren Klassen nicht mehr in der bisherigen Weise leben wollen und sich dessen auch bewusstwerden, hier kommt eine zweite Dimension hinzu, die oberen aber drittens nicht mehr in der alten Weise leben, undvierte Dimension -regieren können, wobei der Rücktritt eines Ministers keine Bedeutung hat – erst dann kann die Revolution siegen. Das aber ist erst die halbe Miete, wir haben nur erst mit vier Bällen jongliert.

Eine Revolution ist unmöglich ohne gesamt-nationale Krise,

die beide Seiten, Ausbeuter wie Ausgebeutete, erfasst. In einer revolutionären Situation muss vorliegen, daß

” 1. alle uns feindlichen Klassenkräfte genügend in Verwirrung geraten sind, genügend miteinander in Fehde liegen, sich durch den Kampf, der ihre Kräfte übersteigt, genügend geschwächt haben; daß

2. alle schwankenden, unsicheren, unbeständigen Zwischenelemente, d. h. das Kleinbürgertum, die kleinbürgerliche Demokratie zum Unterschied von der Bourgeoisie, sich vor dem Volk genügend entlarvt haben, durch ihren Bankrott in der Praxis genügend bloßgestellt sind, daß

3. im Proletariat die Massenstimmung zugunsten der Unterstützung der entschiedensten, grenzenlos kühnen, revolutionären Aktionen  gegen die Bourgeoisie begonnen hat und machtvoll ansteigt. Ist das der Fall, dann ist die Zeit für die Revolution reif, dann ist unser Sieg … gesichert”.
(a.a.O.,81f.).

DER SIEG IST GESICHERT IM NAMEN DES WISSENSCHAFTLICHEN SOZIALISMUS. Im Gegensatz zu bürgerlichen Parteien und Parteiabarten steht das Proletariat nicht im dunklen Wald. Schon der junge Engels hatte gesagt, dass Verschwörungen schädlich seien und der alte Engels sprach von der Revolution als von der autoritärsten Sache der Welt.   In seinem Artikel ‘Marxismus und Aufstand‘ finden wir einen Satz des Anführers der russischen Bolschewiki und des Weltproletariats:

Wir sind eine Partei, die trotz aller Schwankungen um sie herum ihren Weg genau kennt
(Vergleiche Lenin, Marxismus und Aufstand, Brief an das ZK der SDAPR, in: Lenin, Ausgewählte Werk, Progress Verlag, Moskau, 1975,391).

Jedoch ist zu bedenken: Die Macht zu erobern ist leichter, als sie richtig zu gebrauchen. 

 

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Über Heinz Ahlreip 69 Artikel
Heinz Ahlreip, geb. am 28. Februar 1952 in Hildesheim. Von 1975 bis 1983 Studium in den Fächern Philosophie und Politik an der Leibniz Universität Hannover, Magisterabschluss mit der Arbeit »Die Dialektik der absoluten Freiheit in Hegels Phänomenologie des Geistes«. Forschungschwerpunkte: Französische Aufklärung, Jakobinismus, Französische Revolution, die politische Philosophie Kants und Hegels, Befreiungskriege gegen Napoleon, Marxismus-Leninismus, Oktoberrevolution, die Kontroverse Stalin – Trotzki über den Aufbau des Sozialismus in der UdSSR, die Epoche Stalins, insbesondere Stachanowbewegung und Moskauer Prozesse.

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