Wider den Sozialismus mit menschlichem Antlitz

Die bewusste Notwendigkeit der Übergangsphase zur klassenlosen Gesellschaft ist die Diktatur des Proletariats | Photo: Videoscan YouTube

Aus der Hochphase der Französischen Revolution von 1793/94 hallt bis heute ein Satz des Jakobiners und Rechtsanwalts Maximilien Robespierre nach:
„Keinen Vertrag, keinen Waffenstillstand mit Personen, die es nur auf die Ausplünderung des Volkes abgesehen haben.“

 

Von Heinz Ahlreip, 17. April 2025 | 230 Jahre später laufen in Deutschland Parteien wie Die Linke, die MLPD, das Bündnis Sahra Wagenknecht und – ohnehin erwartbar – die SPD unter dieser von Robespierre gesetzten revolutionären Latte einfach hindurch.
Sie präsentieren sich als gute Menschen mit einem menschlichen Antlitz.
Doch sie scheitern am revolutionären Maßstab – und verkaufen ihr Handeln dennoch großspurig den Volksmassen als „fortschrittliche Politik“.
Dabei überschlagen sich ihre Stimmen in Selbstlob und moralischer Überhöhung.

Täuschung mit freundlichem Gesicht

Was kommt bei dieser Täuschung der Volksmassen heraus?

Man erinnere sich an Marx. Er bezeichnete den Gegner, das Kapital, nicht nur als „vornehm“, sondern auch als „barbarisch“. Wie kann man das Wort „barbarisch“ überlesen – gerade als Zeitgenosse imperialistischer Figuren wie Trump? Doch genau das geschah: Seit 1956 wurde dieser Aspekt von vielen sogenannten Kommunisten verdrängt oder ignoriert.

In der Neuen Rheinischen Zeitung schrieb Marx 1849 in einer Serie unter dem Titel „Lohnarbeit und Kapital“:

„Die Krisen werden häufiger und heftiger, schon deswegen, weil in demselben Maße, worin die Produktenmasse – also das Bedürfnis nach ausgedehnten Märkten – wächst, der Weltmarkt sich zusammenzieht. Es bleiben immer weniger neue Märkte zur Exploitation übrig, da jede vorhergehende Krise einen bisher unerschlossenen Markt dem Welthandel unterworfen hat.
Das Kapital lebt aber nicht nur von der Arbeit. Als vornehmer und barbarischer Herr zieht es mit sich in die Gruft die Leichen seiner Sklaven – ganze Arbeiterhekatomben, die in den Krisen untergehen.“
(Karl Marx, Lohnarbeit und Kapital, in: Karl Marx, Friedrich Engels, ausgewählte Werke, Progress Verlag Moskau, 1975,95f.)

Diese Hekatomben (Hekatomben = Opfer, Gabe, Opfergabe) von Toten sind das historische Ergebnis der pazifistischen Sozialisten mit „menschlichem Antlitz“.

Revolution bedeutet Bruch – nicht Reform

Im Kommunistischen Manifest schreiben Marx und Engels unmissverständlich:

„Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats, d. h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren.
Es kann dies natürlich zunächst nur geschehen vermittelst despotischer Eingriffe in das Eigentumsrecht und in die bürgerlichen Produktionsverhältnisse.“
(Karl Marx, Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, Werke, Band 4, Dietz Verlag Berlin, 1960,481)

Diese despotischen Eingriffe sind kein Missverständnis – sie sind eine bewusste Notwendigkeit der Übergangsphase zur klassenlosen Gesellschaft.

Lenin zog die logische Schlussfolgerung: Die Arbeiterklasse, im Bündnis mit den armen Bauern, muss ihren bürgerlichen Feind vollständig vernichten – im blutigen wie im unblutigen Kampf.
Wer glaubt, den Kommunismus ohne Diktatur des Proletariats, ohne revolutionäre Gewalt, auf dem Weg „friedlicher Reformen“ errichten zu können, handelt nicht nur naiv – sondern verrät die Sache der Arbeiterklasse.

Die Übergangszeit vom Kapitalismus zum Kommunismus ist in der Regel eine Periode des Bürgerkriegs. Wer dem Proletariat diese Realität verschweigt, begeht ein Verbrechen an der revolutionären Bewegung.

Die Gewalt der Befreiung

Diktatur heißt: Herrschaft ohne Bindung an bürgerliche Gesetze, gestützt auf unmittelbare Gewalt.
Historisch manifestierte sich diese Wahrheit im ersten Dekret der Pariser Kommune: die allgemeine Volksbewaffnung.
Die Volksarmee – neben der kommunistischen Partei – ist das Rückgrat des revolutionären Terrors gegen die verrotteten Klassenverhältnisse.

Umso entschlossener müssen sich Kommunisten gegen diejenigen stellen, die sich in abstrakten Humanismus flüchten und „Menschlichkeit“ predigen, wo Klassenkampf gefragt ist.

Wenn Marx und Engels von despotischen Eingriffen sprechen, dann meint Lenin konsequenterweise die vollständige Zerschlagung der Bourgeoisie – nicht ihre Reform oder Integration.

Moral entsteht durch Sieg – nicht durch Milde

Ein aufschlussreiches Bild liefert Eisensteins Monumentalfilm „Iwan der Schreckliche“ (1944).
Am Ende des Films sagt der Zar in Nahaufnahme:

„Es ist die Aufgabe des Zaren, die Kleinen und Schwachen zu schützen – aber hart und grausam gegen die Reichen und Mächtigen zu sein.“

Die kleinbürgerlichen Sozialisten unserer Zeit verstecken ihre Grausamkeit gegen die Schwachen hinter blumigen Worten. Sie tragen grinsend ein „menschliches Antlitz“ zur Schau – in alle vier Himmelsrichtungen.
Doch die Wahrheit ist:

Mit jeder erfolgreichen Vernichtung der Bourgeoisie gewinnt der Sozialismus an echtem humanistischem Gehalt.

Die moralische Tiefe des Kommunismus ergibt sich nicht aus moralischem Reden – sondern aus der radikalen Tat, aus dem Sieg über die Ausbeuterklasse.
Nur durch die Überwindung des Gegensatzes zwischen Arbeitern und Bauern, nur durch bewusste Umgestaltung der Produktionsverhältnisse entsteht der neue Mensch, den der Kommunismus formt.

Der kleinbürgerliche Intellektuelle bleibt außen vor. Er klammert sich an alte religiöse oder idealistische Weltbilder, in denen der Mensch für immer ein „Geschöpf Gottes“ bleibt – unfähig, seine eigene Geschichte zu machen.

Doch: Der Mensch ist nicht geschaffen – er schafft sich selbst.

Und im Kommunismus ist der Mensch der Schöpfer des neuen Menschen.

 

 

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Über Heinz Ahlreip 137 Artikel
Heinz Ahlreip, geb. am 28. Februar 1952 in Hildesheim. Von 1975 bis 1983 Studium in den Fächern Philosophie und Politik an der Leibniz Universität Hannover, Magisterabschluss mit der Arbeit »Die Dialektik der absoluten Freiheit in Hegels Phänomenologie des Geistes«. Forschungschwerpunkte: Französische Aufklärung, Jakobinismus, Französische Revolution, die politische Philosophie Kants und Hegels, Befreiungskriege gegen Napoleon, Marxismus-Leninismus, Oktoberrevolution, die Kontroverse Stalin – Trotzki über den Aufbau des Sozialismus in der UdSSR, die Epoche Stalins, insbesondere Stachanowbewegung und Moskauer Prozesse.

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