80 Jahre nach dem Sieg: Gedenken als Klassenfrage

Russland werde „für immer unser Feind“ bleiben. So zeigt der neue Bundesaußenminister, Johann Wadephul (CDU), die „Marschrichtung“ seiner Politik | Photo: Videoscan YouTube

Annalena Baerbock war eine Zumutung, ja. Aber wenigstens nahm sie niemand mehr ernst. Johann Wadephul hingegen ist gefährlich. Weil er glaubt, was er sagt.

 

Was ich noch sagen wollte

Eine Kolumne zum Wochenanfang
von Heinrich Schreiber
Montag, 12. Mai 2025 |

 

Fünf Tage ist es her, dass sich der militärische Zusammenbruch des deutschen Faschismus zum achtzigsten Mal jährte. Fünf Tage, in denen nicht Gedenken, sondern politische Heuchelei das offizielle Bild prägte. Während in Moskau Veteranen und Arbeiter, Nachkommen von Rotarmisten und Millionen von ehemaligen Sowjetbürgern an die heldenhafte Zerschlagung der Wehrmacht erinnerten, lässt sich in Deutschland ein neuer Ton vernehmen: antirussisch, revanchistisch, feindselig.

Ich beobachte es mit wachsender Klarheit: Die Bundesregierung nutzt den historischen Tag nicht zur Aufarbeitung oder Demut, sondern zur Mobilmachung im ideologischen Krieg. Der neue Außenminister Johann Wadephul (CDU) erklärte öffentlich, Russland werde „für immer unser Feind“ bleiben. Eine derartige Einlassung, ausgesprochen ausgerechnet am 80. Jahrestag des Sieges über den deutschen Faschismus, ist kein politischer Lapsus, sondern Teil eines gezielten Frontalangriffs auf jede Erinnerung an die historische Rolle der Sowjetunion. Wadephul stellt sich damit in die erste Reihe der offen revanchistischen Kriegstreiber, die in Russland nicht nur den politischen Gegner, sondern den historischen Feind sehen wollen.

Kein Wort von ihm zu Stalingrad. Kein Wort zur Belagerung Leningrads. Kein Wort zur Befreiung Berlins. Stattdessen wird die Geschichte gefiltert, um das Feindbild des neuen Kalten Krieges zu legitimieren. Die historische Realität, dass die Sowjetunion das entscheidende Bollwerk gegen den Faschismus war, wird gezielt ausradiert.

Die Rolle der Roten Armee war nicht symbolisch, sie war materiell. Sie trug die Hauptlast des Krieges, nicht nur in der Zahl der Gefallenen, sondern in der gesamten strategischen Dynamik. Ohne den Widerstand bei Moskau, ohne die Mobilisierung über tausende Kilometer hinweg, ohne die strategische Genialität in Stalingrad wäre der 8. Mai kein Tag der Befreiung gewesen. Er wäre ein Tag des Triumphs der Wehrmacht über den Weltkommunismus geworden. Die sowjetischen Erfolge waren nicht nur militärisch, sie waren Ausdruck einer anderen Gesellschaftsordnung: einer, die die arbeitenden Menschen bewaffnete, statt sie wie Kanonenfutter zu verheizen.

Diese Wahrheit wird heute in Berlin verhöhnt. Wer den Sieg über den Faschismus instrumentalisiert, um neue Konfrontationen zu rechtfertigen, wer Russland mit Hitlerdeutschland gleichsetzt, macht sich nicht nur der Geschichtsverfälschung schuldig. Er betreibt aktive imperialistische Strategie. Die Militarisierung Deutschlands, die Aufblähung des Rüstungshaushalts, die Reaktivierung der Kriegsindustrie – das alles braucht die ideologische Untermauerung. Der 9. Mai stört da nur, weil er die Erben des sozialistischen Sieges sichtbar macht.

Als Kommunist kann ich nur sagen: Wir schulden der Sowjetunion nicht nur Respekt, wir schulden ihr das Wissen darum, was es heißt, Faschismus zu zerschlagen. Es war nicht ein Parlament, das den deutschen Imperialismus stoppte. Es waren keine bürgerlichen Appelle. Es war die organisierte, bewaffnete Macht der arbeitenden Klasse unter Führung der KPdSU. Das sollte gerade jetzt nicht vergessen werden.

Dass die Bundesregierung den 9. Mai ausblendet, ist kein Zufall. Es ist Teil einer Entwicklung, die jeden Bezug zur revolutionären Geschichte kappen will. Die Linie ist klar: Gedenken ja, aber nur entkernt, nur abstrakt, nur mit moralischem Pathos – nie mit klarem Klassenstandpunkt. Doch genau darum geht es: Der Sieg über den Faschismus war ein Sieg des Sozialismus. Und wer diesen Sieg verleugnet, der bereitet den Boden für die nächste Katastrophe.

Die Paraden in Moskau sind für viele im Westen ein Ärgernis, weil sie zeigen: Die historische Wahrheit lebt. In den Bildern der Veteranen, der roten Fahnen, der Lieder, die gesungen werden. Wer das verachtet, verachtet nicht Russland – er verachtet die Geschichte des antifaschistischen Widerstands. Und er verachtet letztlich die Hoffnung auf eine Gesellschaft jenseits von Ausbeutung, Krieg und Unterdrückung.

Achtzig Jahre nach dem Sieg bleibt der Auftrag aktuell: Den bürgerlichen Geschichtsrevisionismus benennen. Die revolutionäre Wahrheit verteidigen. Und die nächste Generation befähigen, zu verstehen: Der Kapitalismus bringt den Faschismus hervor. Und nur der Sozialismus ist in der Lage, ihn zu zerschlagen. Alles andere ist Geschwätz.

Daher in diesem Sinne und nicht vergessen:

Hoch die Faust und mutig vorwärts
dieser Staat muss zertrümmert werden

Euer 
Heinrich Schreiber

 

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Über Heinrich Schreiber 196 Artikel
Als inzwischen „Best Ager", ist die berufliche Vita schon etwas umfangreicher. Gelernter Photokaufmann, tätig als Werkzeug- und Kopierschleifer im Einzelakkord, aber auch viele Jahre als selbständig tätiger  Wirtschaftsberater waren Heinrich's beruflichen Herausforderungen. Bereits im Alter von 13 Jahren ist Heinrich mit Polizeigewalt bei einer Demonstration in der Kieler Innenstadt in Berührung gekommen. Hintergrund war der Schahbesuch 1967 in Berlin und die Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg durch die Berliner Polizei. Das hat ihn sehr früh politisiert und seine zukünftigen Aktivitäten als Jugendvertreter und in der Gewerkschaftsjugend, in der Roten Garde Kiel/ML und später KPD/ML waren daraufhin logische Konsequenz. Heinrich ist Vater von vier erwachsenen Kindern und begleitet das politische Geschehen mit Berichten und Kommentaren aus marxistisch-leninistischer Sicht.

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