25. April 2021 – Volkskorrespondent Rui Filipe Gutschmidt, Sta. Maria da Feira |
„Grândola vila morena…“, ist das Lied der Nelkenrevolution, die am 25. April 1974 Portugal von einer faschistischen, imperialistischen Diktatur befreite. Als ich letzte Woche in Grândola war und den Schützenpanzer eines der Hauptakteure des Militärputsches – Hauptmann Salgueiro Maia – sehen und anfassen konnte, machte ich mir ein paar Gedanken zu dem was die PCP als „die Werte des April“ bezeichnet. Was ist 47 Jahre danach davon noch übrig.
„Grândola vila morena“ von Zeca Afonso ist das Lied der Nelkenrevolution in Portugal. In den frühen Morgenstunden lief das Lied, das wegen seines Textes über Freiheit und Brüderlichkeit auf dem Index stand. Portugal war ein Land, dass 50 Jahre hinter dem Rest der Welt zurück lag. Die Diktatur bediente sich der klassischen Methode aller autoritären Regierungen.
1. Ignoranz: Bildung wurde nur denen zuteil, die sich diese leisten konnten. In der Theorie war die vierjährige Grundschule Pflicht und man redete den Menschen ein, dass die Kinder in diesen vier Jahren mehr lernen würden als in anderen Ländern in neun Jahren. Das war reine Propaganda, wie auch der Unterrichtsstoff in den staatlichen oder katholischen Schulen. In privaten Schulen wurde der Unterrichtsstoff genauso unter den wachsamen Augen der Zensurbehörde und der PIDE (Geheimpolizei) durchgenommen, wobei den Schülern der privilegierten Oberschicht dort beigebracht wurde, wie man die breite Masse des Volkes unterdrückt und ausbeutet.
2. Religion: Die Religion, in Portugal vor der Revolution war zu über 90 Prozent der Katholizismus. Sie war seit der Gründung des Königreichs und der Entstehung und die Ausdehnung des Herrschaftsbereichs der christlichen Reiche, der „Reconquista“, ein fester Bestandteil des alltäglichen Lebens des einfachen und gläubigen Volkes. Der Adel, also die herrschenden Klasse, berief die sich auf ihr „von Gott gegebenes Recht“, um despotisch das Volk zu unterdrücken und sich an ihm zu bereichern.
In den Jahren des „Estado Novo“ predigten die Pfarrer jeden Sonntag von der Kanzel Regimetreue und man betete für die Gesundheit des Patrons, der Regierenden und natürlich auch des Dr. Salazar, obgleich dieser nicht den Personenkult anderer Diktatoren nachahmte.
Der Kommunismus, Sozialismus und selbst liberale Ideen von Freiheit und Demokratie wurden im wahrsten Sinne des Wortes verteufelt, was selbst heute noch teilweise der Fall ist.
3. Nationalismus: Der „Estado Novo“, auch Salazarismus genannt, sah sich in der Tradition des Imperiums, das sich im 15., 16., 17. und 18. Jahrhundert die Welt mit den Spaniern teilte und das den Eliten des Landes großen Reichtum bescherte. Mit großem Pathos wurden die Kolonien in Afrika, Asien und Ost-Timor als „Portugal über dem Meer“ idealisiert, wobei der Reichtum der seit Jahrhunderten dort ausgebeutet wurde weder dem dortigen Volk noch dem einfachen Portugiesen in Europa zu Gute kam. Im 20. Jahrhundert lebte ein kleiner Teil der Portugiesen, sei es in Europa, sei es in Afrika, Goa, Macau oder Ost-Timor, in großem Reichtum, während Millionen Menschen in extremer Armut ihr Leben fristeten. Dies wurde als von Gott gegebene Ordnung der Dinge dargestellt und es wäre ebenso die Pflicht eines jeden Bürgers seinem Land, seinem Patron und der katholischen Kirche in absolutem Gehorsam zu dienen.
Die rückständige Gesellschaftsordnung vor der Revolution
Es gäbe so viel aus der Geschichte meiner Heimat zu berichten, das weder ein Artikel wie dieser, noch ein Buch ausreichen würden um die Lebensumstände in Portugal vor dem 25. April 1974 zu schildern.
Die Kindersterblichkeit z. B., war die höchste Europas und moderne medizinische Versorgung gab es nur gegen Bares. Wer krank wurde ging nicht zum Arzt, sondern zum „Curandeiro/a“, der mit einer Mischung aus Naturheilkunde, Gebeten und Ritualen sein/ihr bestes gab, um den Kranken zu helfen. Doch selbst das war nicht kostenlos.
Kinderarbeit war völlig normal und die oben genannte vierjährige Schulpflicht eine Farce. Ob Erntezeit oder sonst eine Notwendigkeit zum Überleben der Familie beizutragen, viele Kinder gingen gar nicht oder nur sehr selten in die Schule. Lesen und Schreiben zu können war der Mehrheit der Bevölkerung nicht gegönnt. Hunger und Kälte waren auch Jahre nach der Revolution noch allgegenwärtig und man gab den Kindern in Rotwein eingeweichtes Maisbrot zum Frühstück. Das unterdrückte zwar das Hungergefühl und die Kälte, aber eben auch die Lernfähigkeit der Kinder. Alkoholismus war allgegenwärtig.
Frauen hatten keine Rechte. Arbeiter und Kleinbauern, Handwerker, kleine Ladenbesitzer und „Marktweiber“, Fischer, Tagelöhner und einfache Soldaten waren in einer despotischen Welt gefangen in der keine Gewerkschaft, keine Menschenrechtskommission und (fast) keine Partei sich für sie einsetzte. Portugal führte ein Dasein weit ab vom Rest der Welt. Seit 1961 dann auch noch verstärkt in einer Isolierung wegen seiner, in anderen Ländern stark umstrittenen Kolonialpolitik.
Der Krieg als Katalysator der Nelkenrevolution
1961 beginnt der bewaffnete Kampf der Afrikaner für die Unabhängigkeit ihrer Länder vom faschistischen Portugal und den weißen Siedlern, die vor allem auf ihren riesigen Ländereien wie adelige Despoten herrschten und ihre Arbeiter wie Sklaven behandelten. Dabei waren nicht alle gleich, und den Landarbeitern im Alentejo ging es oft auch nicht anders. Aber was mitunter in den Kolonien geschah, weit ab von Behörden und Medien, das kann sich kaum einer Vorstellen. Prügelstrafen, Vergewaltigung und oft auch Mord waren allgegenwärtig und wurden von Polizei und Justiz vertuscht oder einfach als gerechtfertigt angesehen.
Der Krieg, der daraufhin folgte, war genauso brutal und unmenschlich wie die Kriege im Kongo, der Koreakrieg, der erste und zweite Indochinakrieg, Algeriens Unabhängigkeitskrieg und schließlich wie der Vietnamkrieg. Die reichen Eliten in Angola, Mosambik und Portugiesisch Guinea wollten ihren Besitz nicht verlieren – schon gar nicht an die von ihnen als minderwertige Rasse bezeichneten „Pretos“ herablassende.
Es war diese Brutalität und das sinnlose Sterben auf allen Seiten, dass besonders die Militärs, die einfachen Soldaten aus armen Familien wie auch die Offiziere mittleren Ranges, die gebildet genug waren um einen Putsch zu planen, dazu brachte, die Diktatur als solche, den Krieg und die Ausbeutung in Frage zu stellen und ihr Leben und das ihrer Familien zu riskieren. Hauptakteure des Putsches waren somit eben diese Offiziere, die es satt hatten ihre Männer im angolanischem Busch oder im Dschungel von Portugiesisch Guinea zu verlieren. Die meisten Generäle waren linientreu, skrupellos abgebrüht und profitierten vom Krieg.
Die Werte des Sozialismus, der Freiheit, der Brüderlichkeit und der Wunsch nach Frieden in einer gerechten Gesellschaft, in der ihre Söhne nicht in fernen Ländern für die Interessen des Kapitals ihr Leben, ihre Gesundheit, ihre Seele verlieren, brachten erst die genannten Militärs dazu gegen das Regime zu putschen und dann kamen jung und alt aus dem Volk dazu und stellten sich hinter die Soldaten. Eine Blumenverkäuferin war so beeindruckt, dass sie prompt ihre Nelken an die Soldaten verschenkte und diese steckten sich die Blumen in ihre Gewehrläufe. Daher der Name Nelkenrevolution, über deren Erbe ich im zweiten Teil dieses Beitrags schreiben werde…
„Grândola, Vila morena“ ist das stolze Lied der portugisieschen Revolution.
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