Materialismus ● Idealismus ● Marxismus-Leninismus

Idealismus = metaphysisch, göttlich und endlich

Es ist für die Vertiefung des streitbaren Materialismus aufschlussreich, durch die ideologische Gegenseite zu lernen und zu profitieren. Auch aus seinen Feinden kann man Nutzen ziehen.

Heinz Ahlreip – Autor I Redaktionsbeirat

Materialisten müssen Idealisten studieren, nicht allein deshalb, weil die Gegenseite dies umgekehrt auch tut, sondern weil es heute im alltäglichen Klassenkrieg zählt, sich insbesondere mit dem bürgerlichen Idealismus auseinanderzusetzten, dessen Frontmann Hegel ist und bleibt. Durch Hegels Interpretation der zu seiner Zeit jüngsten Erscheinungsform des Materialismus, den radikalen französischen der französischen Aufklärung, liegt uns eine tiefe Quelle für weltanschauliche Erkenntnisse vor. 

Für Hegel macht der Satz, dass das Endliche ideell ist, den Idealismus aus. Es ist dieser Satz aus einer Sicht idealistischer Metaphysik formuliert, ja er ist ein Prototyp für diese. Das, was ist, wird durch die Idee der Unendlichkeit subversiv durchdrungen, die es zur ständigen Negation, zur Aufhebung anhält. Das Endliche ist die Erscheinungsform des Unendlichen und seiner beiden Nichtiges zugleich.  Das Endliche ist das Nichtige des Unendlichen und seiner an ihm selbst. Kurz: Die Idee ist das Wahre, sie ist das Ansich; die Materie ihr Anderssein, das gedoppelte Nichtige dieser: Das Nichtige der Idee und das Nichtige an ihr selbst. Das Endliche als Grenze muss immer schon über diese hinaus sein, sonst gäbe es keine Grenze. Die Grenze ist der einzige markante Ausdruck, das sich eins in zwei geteilt hat, dass es Endliches und Unendliches gibt. Was der Idealismus als stets aufgehobene Materie in die Unendlichkeit ausgibt, ist für den dialektischen Materialismus das noch nicht Erfasste und Erkannte. Der Idealist Hegel hielt die Weltgeschichte für abgeschlossen, die Materialisten entdecken stets Neues in der Natur und der Gesellschaft.  Die Materie ist also nur scheinbar das Nichtige an ihr selbst, was heißt, dass der Mensch um seiner selbst willen lebt, für den Idealisten aber als endliches Wesen immer nur für ein höheres Unendliche bzw. Absolute, dieses ohnehin ein bevorzugtes Wort des Idealismus, ja ein Zauberwort, in das sie flüchten, wenn sie nicht mehr weiterwissen, in der Religion ist es Gott als Alles Beherrscher, der jede Lücke schließen kann. Nicht der endliche Mensch kann das, sondern nur der absolute Gott bzw. der absolute Geist.    

Das Endliche ist ideell, das ist die Ausgangsposition für die Kritik des Materialismus, wenn das Ideelle das Materielle bedingt, so der idealistisch richtige Kurzschluss Hegels, dass das Materielle ebenfalls absoluter Idealismus seiner für Materialisten nur imaginären Substanz ist. Das ist der Bauerntrick des gottgläubigen Hegels.  Der Materialismus wird so zu einem Anhängsel, mehr noch zu einem sich aufhebenden Moment des absoluten Idealismus zurechtgestutzt. Da Hegels weltliche Intention darin bestand, den Geist in einer geistfeindlichen Zeit zu retten, den deutschen Idealismus zum Triumph über den französischen Materialismus zu führen, konzentriert er sich logisch korrekt auf den exklusiven Hauptinhalt der französischen Aufklärung, der Negierung aller Religion. 

Eigentümlicherweise liegt eine umgekehrte Schwerpunktidentität vor, für Marx war die Kritik der Religion der Ausgangspunkt jeder menschlichen Emanzipation. Marx braucht keine Religion mehr zu zerstören, er sieht dies bereits durch den materialistischen Philosophen Feuerbach abschließend bewerkstelligt. Die richtige weltanschauliche Grundeinstellung liegt für Marx vor ihm im Wesentlichen bereits vor, selbst im rückständigen Deutschland. 

Ein weiterer Schachzug Hegels besteht darin, aufklärerisches Denken auf der Seite der Subjektivität, die von Hegel stets pejorativ besetzt ist, denunziatorisch als niederträchtig zu fixieren, idealistisches Philosophieren aber auf der Seite der Objektivität hochzuhalten.  Die Aufklärung und auch der Jakobinismus besudeln für Hegel die Religion. Er kann es nicht leiden, dass die Aufklärung und ihr Materialismus gerade das Selbstbewusstsein als primär setzen, dass es nichts außerhalb seiner gäbe. Mit der Möglichkeit des Rückbezuges von allem Existierenden auf die Quelle der Subjektivität entschwindet das Fundament jeder Metaphysik. Und doch: So viel ist wahr an Hegels Kritik der bürgerlichen Aufklärung, dass sich unter den Bedingungen des Kapitals nur eine Pseudogestalt des Selbstbewusstseins hervorkehren kann, da fremde objektive Fetischgestalten über es herrschen. Im Ghetto der Fetische treiben die nominalistischen Errungenschaften nicht mehr über sich hinaus, Hegel kritisiert, dass die Aufklärung ohne Gegenentwurf nur zerstörerisch zu Werke geht. Er ahnt bereits, dass die Bourgeoisie nicht mehr die Klasse ist, der es historisch zusteht, alternativ gegen den Strich zu entwerfen. Getroffen wird die Überheblichkeit des bürgerlichen Selbstbewusstseins, sein Sieg über das feudale trage bereits einen welthistorischen Endcharakter. Trotzdem wird der reife Hegel kein deutscher Jakobiner, im Gegenteil, er geht noch weiter zurück. Durch seine Kritik des Materialismus und Atheismus wird er letztendlich ein Apologet des Feudalismus. In den Sowjetenzyklopädien der Stalin-Epoche wird seine Philosophie folgerichtig als aristokratische Reaktion auf die bürgerliche Revolution in Frankreich entwertet. Der Revisionismus rief nicht nur ‘Zurück zu Kant‘, kontinuierlich wurden Partien aus Hegels Dekadenzphilosophie aufgewertet, die mit idealistischen Flausen verbunden waren. Die Bedeutung und der Zusammenhang Hegels im französisch-deutschen Materialismus-Komplex kann hier nur skizziert werden. Während Feuerbachs Denken direkt vom französischen Materialismus sich ableitet, er kann mit der Dialektik Hegels hier nichts anfangen, vieles Französische sich bei ihm auf Deutsch wiederholt, begreift Marx den Bedeutungsgehalt der idealistischen Dialektik, so dass sich sein Materialismus aus dem Umweg über Hegels auf dem Kopf stehender Dialektik ergibt.

Es ist nicht verwunderlich, dass die Bourgeoisie in ihrem ideologischen Kampf historisch verdammt gegen den Feudalismus materialistische und atheistische Spitzen hervorbringen, vor dem nachrückenden Proletariat diese aber rasch wieder abbrechen muss, stets mit der Option, in Hegels reaktionäres Denken einkehren zu können. Also doch wieder Religion, also doch wieder Idealismus, auch schon kapitalmäßig ausgerichtet, mitunter noch grundeigentümlich, dies besonders in der Religionsphilosophie. Die bürgerliche Ideologie kommt aus reaktionärem Schatten nicht heraus. Es kann immer nur eine begrenzte, gestutzte Subversion der bürgerlichen Aufklärung vorliegen.  Die Bourgeoisie kann in ihrer ideologischen Abwehrschlacht gegen den Marxismus-Leninismus nicht materialistisch und atheistisch bleiben. Materialistische und atheistische Kritik am Feudalismus kippt allzu bald ins Gegenteil um, zum Idealismus und zur Religion bürgerlicher Machart. Der Marxismus-Leninismus zwingt die bürgerliche Reduktion objektiver Mächte auf subjektiv-menschliche Quellen, ein Grundzug des Nominalismus, immer wieder zur Umkehr, zur Anerkennung objektiver Mächte, die das Proletariat ideologisch belasten sollen. Atheistisch gegenüber dem Feudalismus wird die Bourgeoisie gegenüber dem Proletariat religiös. So ist die Bourgeoisie ständig gezwungen, Brüche mit der Tradition rückgängig zu machen. Aus den Trümmern der Feudalismus-Vernichtung wird ein weißer Schutzwall gegen die rote Flut errichtet. Der Bruch mit allen feudalen Traditionen stand ja auf der Fahne der Trikolore, aus gutem Grund sprach Engels von einer halben Revolution. 

Was Hegel von seiner reaktionären Grundhaltung heraus scheitern ließ, dass das bürgerliche Subjekt alles selbst produzieren zu können nach Hegel vorgab, jedes Objektive ansich zerstören wollte, das gerade feiert der Materialismus.

“Die im pflanzlichen und tierischen Körper erzeugten chemischen Stoffe blieben solche “Dinge an sich”, bis die organische Chemie sie einen nach dem andern darzustellen anfing; damit wurde das “Ding an sich” ein Ding für uns, wie z.B. der Farbstoff des Krapps, das Alizarin, das wir nicht mehr auf dem Felde in den Krappwurzeln wachsen lassen, sondern aus Kohlenteer weit wohlfeiler und einfacher herstellen“.

(Friedrich Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, Werke, Band 21, Dietz Verlag Berlin, 1960,276)

Die Naturforschung ist unsere scharfe Waffe gegen die Metaphysik, nicht Grübelei, die Hände sind ins Spiel gekommen. In diesen Ausführungen von Engels befindet sich sowohl eine Kritik am Agnostizismus Kants, das Ding an sich ist unerkennbar, als auch an der Metaphysik Hegels: Nichts hat einen Ansich-Charakter, sein um seiner selbst willen, sondern alles ist man-made.  Fast alles in der Natur trägt heute Spuren subjektiver Tätigkeit des menschlichen Geistes. 

Wir entwickeln uns zu Meistern der Natur. Das ist die Perspektive von Engels, ein Lichtstrahl angesichts der unabweisbaren Tatsache, dass Krisenwolken, eine dunkler als die andere, den Himmel der Gattung den Raben gemäß schwarz machen. Ein Lichtstrahl menschlicher Omnipotenz in unserem Sonnensystem, das aber ohne eine Kette von proletarischen Revolutionen auf Erden dem Untergang geweiht ist.

Natürlich ist Hegels Ansinnen, den Materialismus als das nur andere des Idealismus unter diesen zu degradieren, ihn zu denken als eine ihrer selbst nicht bewusste Form des Idealismus, infam, vergleichbar einer schleichenden Firmenübernahme. Man gewinnt den Eindruck als könne nur ein idealistischer Philosoph richtig denken, das ist aber nur in idealistischer Abkapselung von der Welt richtig. Dem Idealismus kann das Materielle nur   Wirkung eines geistigen Prinzips sein. Gerade diese Ursache-Wirkungsrelation hat Feuerbachs große Tat umgedreht und eine ganze Universitätsdisziplin, die einst Mutterdisziplin schlechthin war, wissenschaftlicher Seriosität entkleidet. Er hat als Erster Hegel an seinem wunden Punkt getroffen durch den Nachweis, idealistischer Philosophie liege eine genuin theologische Struktur zugrunde. Der Idealismus steht bis heute vor dem unsinnigen Problem, die Materie ohne Befleckung nur geistig zur Welt kommen lassen zu können.  Der Geist kann nur geistig sein Gegenteil werden, daran kann sich der Idealismus nur festbeißen, darauf muss er beharren. Was Lichtjahre von der Wissenschaft entfernt ist, darf keinen akademischen Raum beanspruchen. In die Gosse mit dem ganzen Pfaffenpack, wo die Jesuiten herkommen.  Ist nicht die Gosse der Platz der Arbeitsscheuen?

Natur nicht aus sich selbst, nur als nach außen getretener Geist, sich in dieser wiederfindend, diese Perversion bestimmt Hegels Sicht der Aufklärung. Gerade deren Kritik an bestehenden Zuständen zeigt die Mangelhaftigkeit noch nicht erreichter Subjekt-Objektivität- Identität an.  Damit aber wird das Besehende eingesegnet, die damalige preußische Monarchie voran. Und damit kommen wir zu einem fundamentalen Unterschied zwischen den beiden philosophischen Hauptströmungen: Für Hegel ist die Identität von Gesellschaft und Natur, Subjekt und Objekt in seiner Philosophie durchkomponiert und erreicht worden. Fundamentale Erkenntnisse können nicht mehr kommen. Jeder Materialist muss das vehement angreifen. 

Im Gegensatz zum Marxismus-Leninismus ist der große Mangel des bürgerlichen Materialismus, an den Produktivkräften und an den Produktionsverhältnissen vorbeizusehen bzw. vorbeizugehen. Wie die subjektiv-menschlichen Denkprozesse mit objektiven Konstellationen zusammenhängen, das hat er noch nicht untersucht bzw. untersuchen Können, deshalb verfällt er auf die Schablone, aufklärerisch fortgeschrittene Menschen müssen die Angaben zurückgebliebener Menschen durch Tatsachenverweis als Vorurteile denunzieren, um sie zu korrigieren. So setzt er den Hebel zur positiven Gesellschaftsveränderung subjektiv im Überbau an und nicht objektiv in den vorherrschenden Produktionsverhältnissen. Wobei der Marxismus-Leninismus noch tiefer geht.  Nicht die reformistische Korrektur vorliegender Produktionsverhältnisse steht im Mittelpunkt, sondern die revolutionäre Ersetzung alter Produktivkräfte durch neue. Aufklärung kann keine Aufklärung sein, wenn sie nur wie die bürgerliche im Überbaumilieus umtriebig ist. Der weltgeschichtliche Wert der bürgerlichen Aufklärung kann nur wie der jeder Aufklärung ein begrenzter sein, deren beschränkter fortschrittliche Charakter aber zugleich auch anzuerkennen ist, sowie der Dialektiker Engels im ‘Ludwig Feuerbach  und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie‘ eine Ehrenrettung des mechanischen Materialismus vorgenommen hatte.(Vergleiche Friedrich Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, Band 21, Dietz Verlag Berlin, 1960,276)

Der Marxismus-Leninismus wäre keine fortschrittliche Theorie der Arbeiterklasse, könnte er nicht die Beschränktheit der bürgerlichen Aufklärung aufzeigen. Das Milieu der bürgerlichen Ideologie muss für die Aufklärer so lange ein ewiges bleiben, bis sie nicht die Wurzeln des Ideologischen in den materiellen Lebensprozessen der arbeitenden Menschen erkennen. Diese Überlegung ist ein substantieller Gehaltsstrang der Kritik in der ‘Deutschen Ideologie‘. Hegel war von dieser Einsicht sehr weit entfernt, ebenso die Rechtshegelianer, aber eben auch die Linkshegelianer. Der Hegelianismus kauerte fort jenseits der 11. Feuerbachthese. Man muss allen Spielarten des Idealismus offensiv, antithetisch und radikal entgegentreten. Der Marxismus-Leninismus als Theorie der Umwälzung der materiellen   Produktionsprozesse, heute diesen entsprechend politisch die Diktatur des Proletariats anstrebend, korrespondiert mit der technisch-industriellen Revolution, deren Reflex er ist. Was in Agrargesellschaften nicht gelingen konnte, das wissenschaftliche Durchschauen von Ideologie, setzt selbst eine große Umwälzung von Produktionsprozessen, eine Transformierung, auch agrarischer, voraus. So ist es stimmig, dass der Marxismus den klassischen Konkurrenzkapitalismus widerspiegelt, der Leninismus den Monopolkapitalismus.

 

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Über Heinz Ahlreip 77 Artikel
Heinz Ahlreip, geb. am 28. Februar 1952 in Hildesheim. Von 1975 bis 1983 Studium in den Fächern Philosophie und Politik an der Leibniz Universität Hannover, Magisterabschluss mit der Arbeit »Die Dialektik der absoluten Freiheit in Hegels Phänomenologie des Geistes«. Forschungschwerpunkte: Französische Aufklärung, Jakobinismus, Französische Revolution, die politische Philosophie Kants und Hegels, Befreiungskriege gegen Napoleon, Marxismus-Leninismus, Oktoberrevolution, die Kontroverse Stalin – Trotzki über den Aufbau des Sozialismus in der UdSSR, die Epoche Stalins, insbesondere Stachanowbewegung und Moskauer Prozesse.

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