
Die Reproduktion des Lebens ist Arbeit – und sie wird systematisch entwertet
In einem kapitalistischen System, das auf der Trennung von Lohnarbeit und sogenannter „Privatsphäre“ beruht, wird eines regelmäßig unsichtbar gemacht: Die tagtäglich geleistete Reproduktionsarbeit – Kinder versorgen, Alte pflegen, Kochen, Putzen, Trösten, Organisieren. Diese Arbeit ist nicht nur die materielle Grundlage jedes Arbeitskraftverkaufs, sie ist auch Grundbedingung dafür, dass dieses System überhaupt funktioniert. Und trotzdem bleibt sie in der kapitalistischen Ordnung unbeachtet, unbezahlt und rechtlich ungeschützt.
Von Heinrich Schreiber | Dass nun eine Organisation wie die »Liga für unbezahlte Arbeit« antritt, diese gesellschaftliche Realität politisch sichtbar und angreifbar zu machen, ist überfällig. Jo Lücke und Franzi Helms haben im Mai 2025 diese Initiative gestartet – sie nennen es eine „Gewerkschaft für Sorgearbeit“. Auch wenn der Begriff der „Gewerkschaft“ hier juristisch noch nicht greift, zeigt der politische Anspruch, wohin die Reise gehen soll: Es geht um kollektive Organisation, Bewusstsein, und letzten Endes um Konfrontation mit einem System, das Sorgearbeit ausbeutet – ohne sie anzuerkennen.
Sorgearbeit ist strukturell – keine individuelle Entscheidung
Bürgerliche Ideologien suggerieren, dass Arbeitsteilung in der Familie Privatsache sei. Doch die Realität beweist das Gegenteil: Wer sich um Kinder oder Pflegebedürftige kümmert, hat weniger Zeit, weniger Einkommen, weniger Rente, weniger politische Teilhabe – kurz: weniger vom Leben. Diese systematische Benachteiligung ist kein „Ungleichgewicht“, sondern ein struktureller Bestandteil des kapitalistischen Alltags. Was hier als „Liebe“ oder „familiäre Verantwortung“ verklärt wird, ist in Wahrheit notwendige Arbeit – und zwar Arbeit, die ganz bewusst aus dem Lohnverhältnis ausgelagert wurde, um Kosten zu sparen.
Die Forderung der Liga, Fürsorgeverantwortung als Diskriminierungsmerkmal im Grundgesetz zu verankern, ist juristisch bürgerlich gedacht – politisch aber ein möglicher Hebel, um endlich den systematischen Ausschluss von Sorgearbeitenden aus gesellschaftlicher Gleichheit offenzulegen. Nicht um symbolischer Anerkennung willen – sondern als Einstieg in den politischen Kampf um materielle Rechte, Zeit, Infrastruktur und gesellschaftliche Macht.
1,2 Billionen Euro: Der stille Reichtum der herrschenden Klasse
Laut Studien werden in Deutschland jährlich 117 Milliarden Stunden unbezahlte Sorgearbeit geleistet – mehr als alle bezahlten Arbeitsstunden zusammengenommen. Würde man diese Arbeit zum Durchschnittslohn vergüten, käme man auf 1,2 Billionen Euro. Diese gewaltige Summe wird Jahr für Jahr von Millionen Menschen – meist Frauen – privat erbracht, als stille Subvention des kapitalistischen Reproduktionsregimes.
Diese Zahl allein entlarvt jede Debatte über „schlanke Haushalte“, „Haushaltsdisziplin“ oder „Rentenlücken“ als Klassenlüge. Es handelt sich nicht um ein Versehen oder eine Grauzone, sondern um bewusste Ausbeutung. Der Kapitalismus basiert nicht nur auf der Ausbeutung der Lohnarbeit – er lebt von der kostenlosen Reproduktion seiner Arbeitskräfte.
Die Idee eines politischen Streiks – ein Schritt in die richtige Richtung
Die Liga denkt weiter: Ihr mittelfristiges Ziel ist es, das Recht auf politischen Streik in Deutschland durchzusetzen. Ein Tabubruch in der Bundesrepublik, in dem Streiks – juristisch – nur im Rahmen von Tarifverhandlungen zugelassen sind. Doch politische Kämpfe brauchen politische Mittel. Das Streikrecht darf nicht länger an das bürgerliche Konstrukt der „Tariffähigkeit“ gebunden sein.
Die Verweigerung von Sorgearbeit als Mittel des Widerstands ist nicht neu – die Geschichte kennt den „Reproduktionsstreik“ als Form der politischen Aktion. Doch heute geht es darum, das politische Streikrecht auch für jene zu erstreiten, die keine tariflich geregelte Lohnarbeit verrichten – sondern genau jene Arbeit leisten, auf der alles aufbaut. Die Liga wagt hier den Bruch mit der Logik des Betriebsmodells – zurecht.
Keine romantische Aufwertung, sondern kollektive Organisierung
Es geht nicht darum, Sorgearbeit „aufzuwerten“ im Sinne von rührseliger Anerkennung. Kein Blumenstrauß zum Muttertag, keine Ehrenplakette. Es geht um Macht. Um Organisierung. Um Rechte. Um Umverteilung von Zeit, Geld und gesellschaftlicher Verantwortung. Die Sorgearbeit muss kollektiv organisiert werden – heraus aus der Familie, hinein in gesellschaftliche Verantwortung und gemeinschaftliche Infrastruktur. Dafür braucht es öffentliche Versorgung, kommunale Pflege, kollektive Kinderbetreuung – keine Privatlösungen oder neoliberale Teilzeittipps.
Fazit: Eine Initiative mit Klassenpotenzial – aber sie muss sich radikalisieren
Die Liga für unbezahlte Arbeit ist ein Schritt in die richtige Richtung. Noch spricht sie eine Sprache, die Kompromisse mit der bürgerlichen Ordnung sucht. Doch ihr Gegenstand – die Ausbeutung unbezahlter Reproduktionsarbeit – ist revolutionär. Wenn die Liga es schafft, aus dem Reformdiskurs herauszutreten und ein reales Kampfkollektiv aufzubauen, dann kann sie eine wichtige Rolle im Klassenkampf der kommenden Jahre spielen. Nicht als NGO, nicht als moralische Stimme – sondern als Teil einer neuen Arbeiterklasse, welche die Trennung zwischen Produktion und Reproduktion endlich überwindet.
Der Kampf gegen unbezahlte Arbeit ist ein Kampf gegen das kapitalistische System selbst. Wer das ernst meint, muss sich organisieren – und kämpfen, ohne das System zu umarmen.
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