Der junge Marx und Frau Sahra Wagenknecht

Der junge Marx und Frau Sahra Wagenknecht

Karl Marx hat einen schwierigsten Text über Hegel im Sommer 1843 geschrieben, als 25jähriger. In diesem Zeitraum nahm er in Bad Kreuznach und dann in Paris eine von Arnold Ruge initiierte sehr gründliche Auseinandersetzung mit Hegels Staatstheorie vor, die „Kritik des Hegelschen Staatsrechts“, auch betitelt: „Aus der Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“
(Karl Marx, Aus der Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, Werke Band 1, Dietz Verlag Berlin, 1960, 203ff.)

Heinz Ahlreip – Autor I Redaktionsbeirat

In seiner intensiven Auseinandersetzung mit der Hegelschen Rechtsphilosophie ist er zu der Erkenntnis gekommen, dass jeder Philosoph in der bürgerlichen Gesellschaft, der unterstellt, dass Menschen ohne Staat nicht lebensfähig seien und dementsprechend eine ideale Staatsform konstruiert, an immanenten Widersprüchen der bürgerlichen Gesellschaft notwendig scheitern muss und Hegel sowieso, da er als Idealist die Wirklichkeit nicht richtig widerspiegelt. Marx steht in der Kritik des Hegelschen Staatsrechts vor der Tür der Anarchie, die aber noch geschlossen bleibt. Sie öffnet sich einen Spalt einige Wochen später:

„Erst wenn der wirklich individuelle Mensch den abstrakten Staatsbürger in sich zurücknimmt und als individueller Mensch in seinem empirischen Leben, in seiner individuellen Arbeit, in seinen individuellen Verhältnissen Gattungswesen geworden ist, erst wenn der Mensch seine ‚forces propres‘ als gesellschaftliche Kräfte erkannt und organisiert hat und daher die gesellschaftliche Kraft nicht mehr in der Gestalt der politischen Kraft von sich trennt, erst dann ist die menschliche Emanzipation vollbracht“.

(Karl Marx, Zur Judenfrage, Werke, Band 1, Dietz Verlag Berlin, 1960,370).

Hier zeichnen sich erste Umrisse eines Subbotniks ab: kollektives Arbeiten mit Gattungsbewusstsein, zudem unentgeltlich. In der ‚Judenfrage‘ heißt es, dass das Geld ein dem Menschen fremdes Wesen ist, das er anbetet. Marx braucht nun die Tür nur noch aufzustoßen und er tut dies knapp ein halbes Jahr später, am 7. August 1844:

„Die Existenz des Staats und die Existenz der Sklaverei sind unzertrennlich“.

(Karl Marx, Kritische Randglossen zu dem Artikel ‘Der König von Preußen und die Sozialreform. Von einem Preußen‘, Werke, Band 1, Dietz Verlag Berlin, 1960,401f.).

Unter dem Pseudonym ‚Ein Preuße‘ verbirgt sich der bereits oben genannte idealistische Linkshegelianer Arnold Ruge.  

Frau Sahra Wagenknecht hat ihre Magisterarbeit über den jungen Marx und seine Hegelkritik geschrieben. Hegel zeichnete sich ja im negativen Sinn dadurch aus, dass er seinen preußisch-monarchistischen Staat seiner Zeit, unter dem er selbst lebte, als beamteter Philosoph zum Musterstaat schlechthin verdrehte. Marx sparte nicht mit drastischen Worten:

„Hier wird … der ‚obrigkeitliche‘ Sinn Hegels wirklich ekelhaft.

(Karl Marx, Kritik des Hegelschen Staatsrechts, Werke, Band 1, Dietz Verlag Berlin, 1960,330).

Die von Marx schriftlich fixierte Erkenntnis, dass die Existenz des Staates und die Existenz der Sklaverei unzertrennlich sind, kann Frau Sahra Wagenknecht bei ihren Studien zur Magisterarbeit nicht entgangen sein. Es fragt sich nur, ob sie diese Erkenntnis in ihrem klugen Köpfchen überhaupt durchdacht hat, wenn als Fazit eines Interviews mit ihr zu lesen ist: „dass sich DIE LINKE für ein gerechtes Steuersystem einsetze.“
(Vergleiche clara, Das Magazin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, Nr. 44, 2017, S. 8).

Eine gerechte Steuer ist ein ähnlicher Unsinn wie ein gerechter Lohn, in beiden Fällen ist ein irgendwie gearteter Staat notwendig. 

Jeder Staat kann nur auf einer Überschussproduktion, in der die Sklaven das tätige Element sind, basieren, auf einem Überschuss, den sich eine unproduktive, parasitäre Schicht von sogenannten staatlichen Funktionsträgern aneignet. Die periodisch wiederkehrenden Diätenerhöhungen der Parlamentarier der Landesparlamente und des Bundestages übersteigen in der Regel stets die gesamte Durchschnittsrente einer Arbeiterin.

Es kann in der bürgerlichen Gesellschaft kein gerechtes Steuersystem geben, denn jedes Steuersystem zementiert die der bürgerlichen Gesellschaft immanent einsitzende Sklaverei, hier und heute spezifisch die Lohnsklaverei.  Das Sklaventum der bürgerlichen Gesellschaft ist das Naturfundament, worauf der moderne Staat basiert.

(Vergleiche Karl Marx, Kritische Randglossen zu dem Artikel ‚Der König von Preußen und die Sozialreform. Von einem Preußen, MEGA I,2, Dietz Verlag Berlin, 1982, 456).

In der Antike war die Sklaverei allerdings ein Fortschritt, sie erst machte die Arbeitsteilung zwischen Ackerbau und Industrie auf größerem Maßstab möglich, auf der die Blüte Griechenlands unter dem “Demokraten“ Perikles beruhte, eine Staatssklaverei aber 2017, in diesem Jahr legte sie ihre Meisterarbeit vor, hundert Jahre nach der Oktoberrevolution, als Ergebnis ‚linker Politik‘ im BRD-Sklavenstaat auszugeben, das ist allerdings starker Tobak. Hier wird Frau Sahra Wagenknecht wirklich ekelhaft. Die deutsche Klassenkampfgeschichte hat die eigenartige Wendung genommen, dass heute gerade die Partei ‘Die LINKE‘ das Sklaventum der bürgerlichen Gesellschaft gegen das deutsche Volk verteidigt und den Fortschritt des Kampfes der Werktätigen hemmt. 

Die Hegelsche Aufhebung des Widerspruchs zwischen dem Besonderen und dem Allgemeinen im bzw. durch den Staat  ist unzulänglich, diese Aufhebung hebt nicht wirklich auf, man muss darüber hinauskommen, und das geschieht dadurch, dass Marx eine Klasse in der bürgerlichen Gesellschaft eruiert, die ihr nicht zugehört und die Hegel als Pöbel ohne staatsbildende Kraft und ohne politische Substanz abtat, der im praktischen Sinne von der bürgerlichen Gesellschaft aus auch nicht geholfen werden kann, wohl aber im theoretischen durch Bourgeoisideologen,

„welche zum theoretischen Verständnis der ganzen geschichtlichen Bewegung sich hinaufgearbeitet haben“

(Karl Marx / Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, Werke Band 4, Dietz Verlag Berlin, 1960,472), 

die eine Klasse ausbilden, die dann durch ihre parteipolitisch gesteuerte Selbstbefreiungsbewegung gegen das Privateigentum an den Produktionsmitteln das weltgeschichtliche Werk der Aufhebung aktiv-aktionistisch betreibt. Ein Teil der Bourgeoisideologen geht zum Proletariat über und richtet es despotisch-destruktiv auf das Privateigentum an den Produktionsmitteln aus, lehrt es, diesen Punkt besonders wie einen Augapfel zu hüten. Die Konterrevolution setzt alles daran, dass dieser Blick getrübt wird, zum Beispiel durch eine Lehre von der proletarischen Denkweise. Im Gegensatz zu Hegel, für den der Pöbel nicht wusste, was er wollte, vermitteln die Marxisten dem Proletariat den wissenschaftlichen Sozialismus, damit die Arbeiterinnen und Arbeiter ihren Klassenkampf auf wissenschaftlicher Grundlage führen können, mit einem klaren Feindbild, mit einem gesunden Klassenhass und mit einer ständigen fanatischen Gewalt- und Vernichtungsbereitschaft dem bürgerlichen Staat gegenüber. Erst im ‘Elend der Philosophie‘, am Ende dieses Werkes von 1844, wird Marx perspektivisch von einem schrecklichen Bürgerkrieg zwischen Lohnarbeit und Kapital ausgehen. Damit sind auch seine Illusionen von 1843 überwunden, durch demokratische Wahlen allein Klassenwidersprüche aufzuheben, durch Wahlen allein die bürgerliche Gesellschaft aufzulösen. 1917 erfolgte die Auflösung der russischen bürgerlichen Gesellschaft nicht allein durch Wahlen und Mehrheitsverhältnisse, sondern primär durch einen relativ unblutig verlaufenden bewaffneten Aufstand mit sechs Toten. War die Rolle der Bolschewiki in den aus der Februarrevolution geborenen Sowjets noch sehr marginal, so genügten ihnen knapp acht Monate, um sich zeitgemäß zu machen. 

Im Zuge der Spaltung der modernen bürgerlichen Gesellschaft in zwei große feindliche Lager, in zwei große, einander direkt gegenüberstehenden Klassen, Bourgeoisie und Proletariat, ist es im Überschlag zu einer links-emanzipativen (Marx, Engels, Lenin, Stalin) und rechts-terroristischen Strömung (Hegel und seine Epigonen) im Bereich der politischen Klassenkämpfe gekommen, die rechte Linie will den Staatsterror forcieren die linke Freiheit und Anarchie, die die marxistische Strömung durch ihr Gegenteil, durch die Diktatur des Proletariats erreichen will. Seit dem Aufstand der Seidenweber 1831 in Lyon stehen sich bis heute proletarische Freiheitskämpfer/innen und Staatsterrorist/innen gegenüber. Babeuf hatte um 1795 im Zuge der bürgerlichen Revolution in Frankreich nur erst eine Verschwörung für einen rohen Gleichheitskommunismus angezettelt, die als solche scheitern musste. Seine Hinrichtung erfolgte Ende Mai 1796. Nicht umsonst hatten Marx und Engels notiert, dass sich das Proletariat, die unterste Schicht der jetzigen Gesellschaft nicht erheben, sich nicht aufrichten kann,

„ohne dass der ganze Überbau der Schichten, die die offizielle Gesellschaft bilden, in die Luft gesprengt wird“

(Karl Marx / Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, Werke, Band 4, Dietz Verlag Berlin, 1960,473).

Dass also auch ein gerechtes Steuersystem in die Luft gesprengt werden muss.  Während sich die rechte Repression in einen faschistischen und liberalen Flügel, der im Imperialismus immer mehr zurückgedrängt wird, spaltete, so die linke in einen revisionistischen und einen revolutionären. Der Imperialismus brachte diese Physiognomien ab 1900 ganz deutlich zum Vorschein. Ganz deutlich ist auch, auf welcher Seite der Barrikade sich Frau Sahra Wagenknecht postiert hat und man kann ihr nur nachrufen, was ein Franzose bei einer projektierten Hundesteuer ausrief: „Arme Hunde! Man will euch wie Menschen behandeln!“

 

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Über Heinz Ahlreip 115 Artikel
Heinz Ahlreip, geb. am 28. Februar 1952 in Hildesheim. Von 1975 bis 1983 Studium in den Fächern Philosophie und Politik an der Leibniz Universität Hannover, Magisterabschluss mit der Arbeit »Die Dialektik der absoluten Freiheit in Hegels Phänomenologie des Geistes«. Forschungschwerpunkte: Französische Aufklärung, Jakobinismus, Französische Revolution, die politische Philosophie Kants und Hegels, Befreiungskriege gegen Napoleon, Marxismus-Leninismus, Oktoberrevolution, die Kontroverse Stalin – Trotzki über den Aufbau des Sozialismus in der UdSSR, die Epoche Stalins, insbesondere Stachanowbewegung und Moskauer Prozesse.

1 Kommentar

  1. Heinz Ahlreip, bei deiner Kritik an Sahra sollte man nicht die Streicheleinheiten vergessen, die sie zweifellos für all ihre Bemühungen um einen menschenwürdigen Kapitalismus verdient hat. War sie doch auch um die geringfügige Heiligsprechung von Ludwig Erhards „Sozialer Marktwirtschaft“ bemüht, die es niemals im Kapitalismus gegeben hat und niemals geben wird.
    Im Gegensatz zur üblichen Eliten-Mischpoke, Sahra war stets um ihre kleinbürgerliche Aufrichtigkeit bemüht; auch wenn sie die von ihr angenommene historische Phase einer angeblichen „Sozialen Marktwirtschaft“ in den 1960er Jahren nie persönlich als gerade erst danach geborenes Kind der DDR erlebt hat. Es macht eben doch einen Unterschied aus, ob Frau/Mann in Westdeutschland lebte oder darüber wohlwollende Schriften vorgeblicher Aufklärung und Verschönerung vergangener Zeiten gelesen hat. Zweifellos für die bürgerliche Administration in Wirtschaft und Gesellschaft waren es „Goldene Zeiten“, ebenso für die gehobenen Beamten und verbeamtete Lehrerschaft. Aber für die Masse der Wert und Mehrwert produzierenden Arbeiter und Facharbeiterklasse waren es vor allem harte Knochenzeiten. Eine Ausnahme bildeten die Arbeiteraristokraten, so wie aktuell immer noch in der Rüstungs- und Automobilindustrie und E-Mobilität.

    Nachtrag: Ludwig Erhard
    »Laut dem Historiker Werner Abelshauser erstellte Erhard Gutachten für Regierungsstellen des NS-Staats, unter anderem zu der Frage, wie man das besetzte Polen am besten ausbeutet. Erhard habe sich dagegen gewandt, polnische Arbeiter zu diskriminieren, um ihre Leistungsbereitschaft nicht zu schwächen. Damit habe sich Erhard gegen starke Kräfte im NS-System gestellt, die Polens Bevölkerung auf eine Art Sklavenstatus herunterdrücken wollten.[22] Im Januar 1943 erhielt er das Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse im Rahmen seiner Beratertätigkeit.[23]

    Negativ beurteilte die Journalistin Ulrike Herrmann Erhards Wirken in dieser Zeit: Er habe sich damals keineswegs bloß eingerichtet als „unpolitischer Professor“, sondern der Naziherrschaft engagiert und willig gedient.[24] Dieser Bewertung widersprachen die Ökonomen Thomas Mayer, Otmar Issing und der Historiker Daniel Koerfer.[25] Nach Koerfer war Erhard „kein Widerstandskämpfer“, eher „blauäugig“ und „politisch naiv“.[14]« *
    * Vgl. Ludwig Erhard – Wikipedia

    Gruß Reinhold

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