Die Gefährlichkeit der Dialektik

Die Dialektik des historischen Materialismus sagt uns, dass die Uhr wie ein Metronom zugunsten einer gesellschaftlichen Veränderung Tickt.

Das Summative, seiner inhaltlichen Intention gemäß sich steigernd, versinkt in der unendlichen Tiefe des Universums. So auch der profitmaximierende Kapitalismus, der als Moment der Weltgeschichte dieser zu opfern ist. „Die Lebensbedingungen der alten Gesellschaft sind schon vernichtet in den Lebensbedingungen des Proletariats“

(Karl Marx, Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, Werke, Band 4, Dietz Verlag Berlin, 1960,472).

 

Heinz Ahlreip – Autor | Redaktionsbeirat

 

Von Heinz Ahlreip – 12. Juli 2023 | Die Ideologen, die dem Kapitalismus Unendlichkeit andichten, die die Lebensbedingungen des Proletariats aufrechterhalten wollen, sind seine fatalen Opfer subjektiver und objektiver Fehleinschätzung.  Stimmig sind sie nur in der Korrespondenz des Falschen. Das notwendig falsche Bewusstsein ist die richtige Widerspiegelung des falschen Scheins. Das Nichtdurchschauen gesellschaftlicher Verhältnisse erreicht seinen Tiefpunkt in der Kette von Fetischverblendungen. Die Menschen wissen nicht, was sie tun, sie sind Spielbälle fremder Mächte, geblendet vom Waren-, Geld- und Kapitalfetisch, ohne dies zu wissen. Damit ist die Emanzipation aus dem Mittelalter noch nicht gelungen. Es gibt keinen qualitativen Unterschied zwischen dem sogenannten modernen Menschen und dem analphabetischen Bauern, der im Mittelalter in den Kirchenschiffen der Sonntagspredigt in lateinischer Sprache wie ein narkotisiertes Schaf lauschte. Marx hat die Religion an den Kapitalismus gefesselt, eine kapitalistisch-atheistische Welt ist ein Unding, denn die kapitalistische Gesellschaft ist genuin wissenschaftsfeindlich und bringt aus ihren eigenen Eingeweiden religiösen Unsinn der verschiedensten Art hervor.

Diese Grundposition wird heute durch den Quizrummel übertüncht, dem Proleten wird ein Pseudowissen untergejubelt. Der Quizmeister leitet uns in die Irre, als sei die Wissenschaft etwas Flitterhaftes, Zusammenhangloses, vom Zufallsgenerator Abhängiges. Der Schatz menschlichen Wissens wird in tausend Fragmente zersplittert, am Ende sind wir nur noch in der Lage, die Welt als Chaos wahrzunehmen und zerfetzen unser Gehirn durch chaotische Abbildungen. Keine Denkbewegungen, keine Zusammenhänge, fixierte, tote Begriffe werden heute von den Quizmastern verlangt. Der Dialektiker Hegel, der anders als Marx die Religion an seine Philosophie gekettet hatte, sah sich als Retter des Geistes in einer geistfeindlichen Zeit. Die ‘Phänomenologie des Geistes‘ ist insgesamt gegen den Wissenschaftsbetrieb der damaligen Zeit gerichtet. Der von Hegel vehement verfochtene ‘Begriff‘ als Greifen durch die Oberfläche hindurch, ist in seinem Denken das vitalisierende Medium gegen das vorgestanzte beziehungslose Fixe.

Gegen das darin liegende Infantile ist an die bürgerliche Klassik zu erinnern. Hegel, wenn er ein Wort aus der Wissenschaft verbannt wissen wollte, so war es das Wort ‘Spiel‘. Schiller, Beethoven und Hölderlin, man lese doch nur den Hyperion oder man lese ihn noch einmal, haben versucht, der Menschheit durch eine Symphonie des Weltganzen einen universalen Spiegel vorzuhalten, der kein Flickwerk aus tausend Scherben ist. Es war eine positiv-konstruktive erkenntnisoptimistische Dialektik, keine destruktiv-negative, die sich nicht wie der indische Fakir in Scherben herumsuhlt und mit Weibern den Scherbenwalzer tanzt. Hegel stellt die wissenschaftsgeschichtlich zentrale Frage: ‘Womit muss der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?‘ Er kann bestimmt nicht mit einer beliebigen Quizfrage gemacht werden.

Marx, der ihn mit der Ware als der ökonomischen Zellenform der bürgerlichen Gesellschaft machte, zog aus der Analyse der Pariser Commune die Schlussfolgerung, dass die Bourgeoisie die Position des Feudalherrn eingenommen habe. Heute von dieser feudal-imperialistischen Bourgeoisie einen weiteren klassischen Beitrag zu erwarten, käme einem Verlangen gleich einer von einem Bordellwirt vorgetragenen Vorlesung gediegener Art über die ‘Metaphysik der Sitten‘ Immanuel Kants lauschen zu wollen. Heute geht es der bürgerlichen Ideologie um die Zerstörung der Dialektik, um eine ‘Negative Dialektik‘ und um die Ausradierung des humanen Gehaltes der neunten Symphonie insbesondere im Imperialismus, einem Zeitalter des Militarismus und der politischen Reaktion auf der ganzen Linie. Das dialektische Denken ist insofern gefährlich für den faulenden, zerfallenden Imperialismus, weil es sich als zusammenhängendes Denken in dem Zusammenhang des Weltganzen hineindenkt, es widerspiegelt, es als Gesamtkomplex von Prozessen abbildet und dessen Gesetzmäßigkeit herausstellt. Eine Klasse, die mit „nüchternen Augen“ (Manifest) in die Zukunft schaut, ist immer brennend an den Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung interessiert, um ihre Stellung (Antipode der Bourgeoisie) und ihren Stellenwert (Totengräber der bürgerlichen Gesellschaft) zu präzisieren, um in den kommenden Klassenauseinandersetzungen eine feste, in sich begründete Position einzunehmen.

Wenige Tage vor dem Ausbruch der Oktoberrevolution hatte der wissenschaftliche Sozialist Lenin an die SDAPR (Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands) geschrieben, dass diese Partei trotz aller Schwankungen um sie herum ihren Weg genau kennt. Das muss die bürgerliche Ideologie auf den Plan rufen. Deren historische Aufgabe ist es, den Lohnsklavinnen und Lohnsklaven, die aus der dunklen Hölle der Lohnsklaverei zum Licht der Wissenschaft emporsteigen, dicke Gesteinsbrocken entgegenzuschleudern: Lasst ab von eurem Tun, ergebt Euch wie Eure Väter in Euer heutiges Schicksal, erst im Augenblick eures Todes kann euch das ewige Licht göttlicher Gnade zuteilwerden. Hier liegt nun eine Perversion vor, zweifelsfrei eine ins Quadrat erhobene. Auf Erden wird über die Lohnsklaven verfügt, weil sie kein Produktionsmittel ihr eigenes nennen, im Himmel verfügen die himmlischen Heerscharen über diese Kreaturen. Wer unter kapitalistischen Bedingungen noch etwas von einer Würde des Menschen in eine Verfassung schreibt, gehört als gemeingefährlicher Idiot lebenslang ins Irrenhaus gesperrt. Bürgerliche Ideologie ist heute ihrem inneren Gehalte nach repressiv, unfähig, einen Weg zur Befreiung der Völker zu finden. Im Gegenteil. Die perspektivlosen Blinden, denen alle hochwertigen Massenmedien zur Verfügung stehen, können die nicht belehren, die ihren Weg, wissenschaftlich abgesichert, genau kennen.

Chaoten, selbst in Masse, können Rationalisten nicht belehren. In diese lächerliche Position hat sich bürgerliche Ideologie mittlerweile hineinmanövriert.

 

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Über Heinz Ahlreip 99 Artikel
Heinz Ahlreip, geb. am 28. Februar 1952 in Hildesheim. Von 1975 bis 1983 Studium in den Fächern Philosophie und Politik an der Leibniz Universität Hannover, Magisterabschluss mit der Arbeit »Die Dialektik der absoluten Freiheit in Hegels Phänomenologie des Geistes«. Forschungschwerpunkte: Französische Aufklärung, Jakobinismus, Französische Revolution, die politische Philosophie Kants und Hegels, Befreiungskriege gegen Napoleon, Marxismus-Leninismus, Oktoberrevolution, die Kontroverse Stalin – Trotzki über den Aufbau des Sozialismus in der UdSSR, die Epoche Stalins, insbesondere Stachanowbewegung und Moskauer Prozesse.

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