Nach einem geflügelten Wort Hegels ist die bürgerliche Aufklärung über sich selbst nicht aufgeklärt. Dass zwischen ihr und der bürgerlichen Revolution, modellhaft in Frankreich, u. a. deshalb die große genannt, eine Konjunktion besteht, steht außer Frage, ein angeblich offenkundiger Umstand, der von den bürgerlichen Ideologen dazu missbraucht wird, einer idealistischen Weltanschauung Vorschub zu leisten.
Von Heinz Ahlreip 21. September, 09:26 h | Wir können in diesem Fall die Unzulänglichkeit auch von der Frucht, der klassischen bürgerlichen Revolution von 1789 in Frankreich aufdröseln, die nicht einmal das Wahlrecht für Frauen erbrachte. Engels bezeichnete sie als eine halbe Revolution. Das ist schon ein fundamentaler Unterschied: 1688 in England ‘The Glorious Revolution‘, 1789 in Frankreich ‘Die Große Französische Revolution‘. Und Deutschland? Aus Deutschland eine Stimme: Halbe Revolution.
Wer hat Recht, die bürgerlichen Großmäuler mit ihrem Locke und Rousseau unter dem Arm oder der proletarische Revolutionär und dialektische Materialist Friedrich Engels, der allerdings auch ein Aufklärer war, nämlich 1886:
„Die Philosophen wurden aber in dieser langen Periode von Descartes bis Hegel und von Hobbes bis Feuerbach keineswegs, wie sie glaubten, allein durch die Kraft des reinen Gedankens vorangetrieben. Im Gegenteil. Was sie in Wahrheit vorantrieb, das war namentlich der gewaltige und immer schneller voranstürmende Fortschritt der Naturwissenschaft und der Industrie“.
(Friedrich Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, Werke, Band 21, Dietz Verlag Berlin, 1960,277).
Engels spricht hier von einer Selbsttäuschung der bürgerlichen Philosophen, die wir heute also kritisch-materialistisch lesen müssen. Die bürgerliche Aufklärung war nicht die Lokomotive der französischen Revolution, sondern lediglich ihr Anhänger. Ihr Mangel bestand und besteht auch heute noch darin, die Ursachen gesellschaftlichen Fortschritts in Basis und Überbau sich selbstbegründend-gedanklich zu fassen und nicht aus dem Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen bestehenden Konfliktfeldern. Die bürgerliche Aufklärung steckt in einem doppelten Dilemma. Sie greift zu flach bzw. kreist rein geistig um sich selbst, stößt nicht auf die Produktivkräfte als Triebkräfte nicht nur der Aufklärungsphilosophie, sondern letztinstanzlich auch der Revolution selbst vor.
„Seit Dezennien ist die Geschichte der Industrie und des Handels nur die Geschichte der Empörung der modernen Produktivkräfte gegen die modernen Produktionsverhältnisse, gegen die Eigentums- verhältnisse, welche die Lebensbedingungen der Bourgeoisie und ihrer Herrschaft sind“.
(Karl Marx, Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, Werke, Band 4, Dietz Verlag Berlin, 1960, 467).
Des Weiteren muss die so unaufgeklärte bürgerliche Aufklärung mit der Anmaßung auftreten, die Gesellschaft zu scheiden in Erleuchtete und Zurückgebliebene, in Stadttiere und Landtiere, um zwei Ausdrücke von Marx und Engels aus der ‘Deutschen Ideologie‘ zu bemühen. Bürgerliche Ideologie handelt bürgerliche Aufklärung rein geistig ab, nie politisch, denn es ging darum die große Masse analphabetischer Bauern vor den Karren der Trikolore zu spannen, ein höchst politischer Akt, um die überholte Feudalordnung zu sprengen. Die bürgerliche Aufklärung beinhaltete keine Volksaufklärung, nur eine Minderheit konnte schreiben und lesen. Weder verstanden die Bauern die in lateinischer Sprache gehaltenen Sonntagspredigten in den Kirchenschiffen, der sie gleichwohl beiwohnen mussten, um beerdigt zu werden, noch ein teures Buch von Voltaire, das zu erwerben allerdings freiwillig war.
Kant gab der bürgerlichen Aufklärung 1784 ein bekanntes Stichwort: ‘Sapere aude – Habe Mut Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen‘. Aber eine rundherum aufgeklärte Gesellschaft ungeschieden im Gleichklang denkend belegt, dass freie Gedanken noch keine Umwälzung der feudalen ökonomischen Gesellschaftsformation in eine damals zeitgemäße kapitalistische bedeutet, da ist eine Mistgabel schon essentieller, noch besser ein 10er, 100er Bauernblock mit Mistgabeln. Die Idee muss zur materiellen Gewalt werden. Der Plebs machte 1789 die Drecksarbeit für den Bourgeois. Zu einem Sturm auf eine Bastille hat Herr Kant nicht aufgerufen, auch nicht zu einer Volksbewaffnung, die im innersten Kern selbst schon in einer bürgerlichen Revolution lag, aber sofort verstümmelt werden musste. Es galt besonders in Frankreich nach jeder Revolution die Arbeiterklasse (1789 Handwerker in den Städten) zu entwaffnen. Denn den meisten bürgerlichen Aufklärern schwebte eine aufgeklärte Monarchie vor, der objektiven Lage des Analphabetismus entsprechend konnte Aufklärung nur von oben kommen und die Bourgeoise wird nicht den Ast absägen, auf dem sie sitzt, will sagen, sie bleibt eindimensional autoritär und brutal, muss den humanistischen Gedanken der dritten These über Feuerbach bekämpfen, dass der Erzieher selbst erzogen werden muss.
„Die materialistische Lehre von der Veränderung der Umstände und der Erziehung vergißt, daß die Umstände von den Menschen verändert und der Erzieher selbst erzogen werden muß. Sie muß daher die Gesellschaft in zwei Teile – von denen der eine über ihr erhaben ist – sondieren“.
(Karl Marx, Thesen über Feuerbach, Werke, Band 3, Dietz Verlag Berlin, 1960,5f.).
Erhabenheit – ein Grundzug der bürgerlichen Aufklärung. Der Proletarier als Erzieher – das geht, der analphabetische Bauer als Erzieher der Fürsten – das geht nicht.
Die Bourgeoise kann heute kein Interesse an einer Volksaufklärung haben, 6,9 Millionen Analphabeten lungern mit einem verpfuschten Leben in der BRD herum. Schon 1871 wurde in der Pariser Commune deutlich, dass
„der heutige Bourgeois sich für den rechtmäßigen Nachfolger des ehemaligen Feudalherrn ansieht“.
(Karl Marx, Der Bürgerkrieg in Frankreich, Werke, Band 17, Dietz Verlag Berlin,1960,360).
Auf die Nachricht von der Niederlage der französischen Armee gegen Preußen am fünften November 1757 bei Roßbach soll die Pompadour gesagt haben: Nach uns die Sintflut. So denkt auch heute die imperialistische Weltbourgeoisie, das macht u. a. den Ausbruch eines dritten Weltkriegs so fragil.
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